Wasserrecht und Privatisierung - Verarschung auf höchster Ebene

Liest du den Politik-Teil der Zeitung oder auch den Wirtschaftsteil intensiv und gründlich? Dann sind dir sicherlich viele Diskussionen um die sog. Euro-Rettungsschirme aufgefallen oder auch intensive Leitartikel über die Frage, welches Wirtschaftsmodell denn das Richtige für die Weiterentwicklung unseres Landes wäre. Über eine weitere, bedeutende Frage der Wirtschafts- und Menschenrechtspolitik wird aber nur in wenigen Zeilen und bestenfalls als Randnotiz berichtet: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland werden durch immer mehr Rechtsakte der Europäischen Union massiv unterhöhlt. Anfangs waren Richtlinien der EU eigentlich lediglich dazu gedacht, den Warenverkehr zu erleichtern oder die Binnenmarktintegration zu fördern. Inzwischen werden aber viele hoch brisante, die Gesellschaft verändernde Themen zur EU-Kommission geschickt und kommen von dort als "alternativlos" zurück. Der Bundestag beschränkt sich dann auch wie im Fall der Trinkwasserprivatisierung meist auf ein abnicken oder durchwinken. Lese mehr über den zur Abstimmung stehenden Gegenstand - den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur Konzessionsvergabe für Trinkwasser, dem Ratsdokument 18960/11.

Ziemlich versteckte Ausweitung der Privatisierung auf das Trinkwasser

Das 99-seitige Originaldokument ist alleine schon wegen seiner Regelungsfülle und textlicher Dimension genau das Gegenteil von Entbürokratisierung und Bürgerfreundlichkeit. In diesem Dokument wird die Konzessionsvergabe beispielsweise für Postdienste, das Verkehrswesen und - eine Neuerung - auch für das Trinkwasser geregelt. Nach Inkrafttreten müssen also die örtlichen Wasserversorger - also meist die Städte und Gemeinden - Trinkwasserkonzessionen ausschreiben und an Privatunternehmen vergeben. Bei der Konzessionsvergabe können lediglich noch technische Standards und Prüfverfahren festgelegt werden. Jedem dürfte aber klar sein, dass mit der Ausschreibung das Handeln von der bisherigen Körperschaft auf ein privates, gewinnorientiertes Unternehmen übergeht. Damit verbunden ist die Aufhebung des Gewinnverbotes, einer besonderen Formen der Gemeinnützigkeit.

Erste Auswirkungen auf die Wasserversorgung zu erwarten

In einem ersten Schritt werden die neuen Wasserversorger nicht mehr die Bilanzierungs- und Rechnungsstellungsvorschriften bzw. -gewohnheiten der öffentlichen Verwaltung anwenden. Bisher darf die Gebietskörperschaft keinerlei Gewinne erzielen und Reparaturrücklagen für das Kanalnetz lediglich in festgelegter und geringer Höhe bilden. Ein Privatunternehmen, welches das alleinige Monopol für ein bestimmtes Gebiet bzw. eine Konzession bekommt, kann hier anders vorgehen. Gewinnorientierung bedeutet: Jede einzelne Leistung am Kanalnetz wird nicht wie beim öffentlichen Dienst zu Selbstkosten berechnet, sondern den Wassernutzern zu Handwerkerverkaufspreisen in Rechnung zu stellen. Da wird aus einer Mitarbeiterstunde mit Selbstkosten inklusive Lohnnebenkosten von 25-28 Euro schnell eine Rechnungsposition von 80-100 Euro pro Arbeitsstunde. Womit ein Deckungsbeitrag (selbst nach Abzug von Krankheits- und Urlaubszeiten) von weit über 50 % entsteht.

Dabei wird es ganz unerheblich sein, ob die Arbeitsstunde direkt auf deinen Wasseranschluss umgerechnet wird oder ob ein anderer Verteilschlüssel gewählt wird: Die Wassernutzer werden erheblich mehr zahlen. Zumal das Unternehmen auch an verbauten Teilen verdienen wird und deshalb nicht die beste Lösung, sondern die teuerste nimmt.

Beschleunigung der Entrechtungsspirale

In einem ersten Schritt werden die neuen Konzessionäre die Altverträge übernehmen und die Entrechtungsspirale bei den Kunden noch nicht anziehen. Im Hintergrund wird es wohl - wie auch beim Stromangebot - immer einen Grundversorgungs-Tarif geben, bei dem der Kunde sich nicht "ausziehen muss". Schon bald wird dich aber die Industrie mit neuen Tarifmodellen mit Vorkasse, Schufa-Überprüfung oder auch der Angabe aller persönlichen Daten wie Geburtsdatum und Beruf beglücken, obwohl dies für die Wasserversorgung gar nicht notwendig ist. Die Preise sowohl des Grundversorgungs-, als auch aller anderer Tarife werden mit Zeitverzögerung steigen - so wie es auch bei der Stromprivatisierung und der Bahn geschehen ist. Die Menschen verlieren die persönlichen Daten, den Schutz vor überhöhten Preisen und sehen sich einer übermächtigen Versorgerindustrie gegenüber.

Die Argumente der Privatisierungsbefürworter

Bei allen bisherigen und zukünftigen Privatisierungen gibt es zwei Argumente, die die Privatisierungsbefürworter beinahe mantraartig wiederholen: Privatisierung führt zu mehr Effizienz und günstigeren Kosten. Das erste Argument ist wahr, allerdings nicht in der von den Befürwortern gedachten Art und Weise! Mehr Effizienz bedeutet eine höhere Produktivität pro Mitarbeiter oder weniger geleistete Arbeitsstunden für die entsprechende Leistung. Damit werden sich im Bereich der Wasserversorgung die gleichen Bechäftigungsentwicklungen wie bei allen Privatisierungen vollziehen: Ein zweistelliger Prozentsatz der Beschäftigten wird entlassen. Für die anderen Beschäftigten gilt nicht mehr der Kündigungsschutz des öffentlichen Dienstes oder deren durchaus auskömmliche Bezahlung. Das Argument der günstigeren Kosten ist richtig, weil jedes Privatunternehmen gewinnorientiert arbeitet: Also werden stille Reserven gehoben und eine "Überwartung" der Systeme und Produktionskapazitäten vermieden. Wenn Du die Folgen einschätzen möchtest, dann denke einmal an die Probleme der Bahn in den letzten zwei Jahren: Viel zu wenige Züge und Waggons werden vorgehalten, so dass sogar die Bundespolizei in Frankfurt am Main mehrfach Züge wegen Überfüllung räumen musste.

Die Mehrheitsfraktionen stoppen den Schutz der Menschen

Höchst bedenklich bei der politischen Entwicklung der zunehmenden Privatisierung und Entrechtung der Verbraucher ist allerdings, dass die großen Volksparteien untätig bleiben. Lediglich Abgeordnete der Fraktion DIE LINKE (Ulla Lötzer, Eva Bulling-Schröter, Katrin Kunert, ein weiterer namentlich nicht genannter Abgeordneter) haben einen Antrag gegen die Wasserprivatisierung und gegen das - noch nicht bindende EU Dokument - eingebracht. Unter der Überschrift "Wasser ist Menschenrecht - Privatisierung verhindern" wurde in namentlicher Abstimmung am 28. Februar 2013 abgestimmt. Für den Antrag - also die Verhinderung der Privatisierung - haben lediglich 122 Abgeordnete gestimmt. Gegen den Antrag haben sich bei der namentlichen Abstimmung 299 Abgeordnete ausgesprochen.

Wenn du dich im Informationsangebot des Bundestages über die Größe der einzelnen Fraktionen informierst, dann ist bei einer 54 % Ablehnung und den zusätzlichen Enthaltungen davon auszugehen, dass die großen Fraktionen CDU/CSU und SPD sowie die privatisierungsfreundliche FDP Privatisierung vor Bürgerrecht stellten. Dabei ist interessant, dass die Parteien trotz der bisherigen Fehlschläge bei der Privatisierung an diesem politischen Modell festhalten - ohne eine ähnlich intensive Debatte wie beim Mindestlohn zu beginnen.